Lange Zeit fristete das Quartier Schönbühl, verglichen mit den mondänen Quais am Seebecken, ein wenig beachtetes Dornröschendasein. In den 1960er Jahren setzte angesichts der zentrumsnahen Lage am See eine massive Bautätigkeit ein, die das Gesicht des Quartiers vollständig veränderte. Rund um das ikonografische Wohnhochhaus (1965-1968) von Alvar Aalto entstanden in kürzester Zeit zahllose Wohnbauten ohne erkennbaren städtebaulichen oder architektonischen Zusammenhang. Der heterogenen Umgebung setzen die Häuser Hirtenhofstrasse ihre physische Präsenz entgegen. Die vier schlanken, um zweiseitig verglaste Treppenhäuser platzierten Längskörper erzeugen eine im Mietwohnungsbau unerwartete räumliche Qualität. Dank der Durchlässigkeit in Längsrichtung entstehen grosszügige Durch- und Ausblicke, die wegen der zueinander versetzten Stellung der Häuser nicht von Nachbarbauten blockiert werden. Die peripher angeordneten Balkone verstärken zusammen mit den horizontalen Fensterbändern den Eindruck von leichten, über der natürlichen Geländemulde schwebenden Geschossplatten. Die Wohnungen sind als Stahlbetonskelett konzipiert: alle Stützen bleiben im Innenausbau sichtbar. Sie begleiten als Wegmarken den Alltag der Nutzerinnen und Nutzer.
BETON
Am Lindensteig bedingen sich Ortbeton, die vorfabrizierten Bauteile des Tragskeletts und die von Hand bearbeiteten Fassadenflächen gegenseitig. Die Kombination von verschiedenen Möglichkeiten mit Beton zu arbeiten - Ortbeton, Vorfabrikation und handwerklich bearbeiteter Beton - stand am Anfang des Entwurfsprozesses. Die haptische und optische Erscheinung des Betons ist präzise an seine jeweilige Funktion im Gebäude angepasst. Vom groben Ortbeton in den Untergeschossen nimmt die Präzision und Oberflächenqualität zum Licht durchfluteten Treppenhaus und zu den scharfkantigen Betonstützen und Sichtbetondecken in den Wohnungen kontinuierlich zu. Die vorgehängten Fassadenelemente erhalten ihre molasseartige Oberfläche aus einer Kombination von Vorfabrikation und Handarbeit. Die mit Hammer und Meissel abgeschlagenen Kanten geben den zwei Gebäuden eine wohltuende physische Präsenz im heterogenen Umfeld des Schönbühlquartiers.
RHYTMUS UND PROPORTIONEN
Alle Masse der beiden Häuser sind bis ins Detail aufeinander bezogen. Der Grundmodul von 12 cm regelt die Längen und Proportionen der Teile zueinander. Dabei entsteht eine optisch vielfältige Überlagerung von Rhythmen: den Stützen des Tragskeletts, der Einteilung der Fenster und der Fugen der Fassade. Alle drei Gestaltungselemente sprechen ihren eigenen Text in der gemeinsamen Sprache des übergeordneten Proportionssystems.